Klassenzimmerstück zu Zivilcourage begeistert Jahrgang 10


Name: Sophie Scholl

Im Gesellschaftslehre-Unterricht hatten sich alle zehnten Klassen bereits mit der Zeit des Nationalsozialismus und dem Widerstandskampf aus der bürgerlichen Mitte auseinandergesetzt. Nun hatten die Jugendlichen die Chance, dieses Wissen auf eine kreative Weise zu vertiefen: In einer Doppelvorstellung waren die Regisseurin Judith Senger aus Frankfurt und die Schauspielerin Daniela Mitterlehner aus Leipzig erstmals an die IGS gekommen, um sich gemeinsam mit den Jugendlichen mithilfe eines Klassenzimmerstücks und einer theaterpädagogischen Nachbereitung dem Thema erneut zu nähern.

Die Regisseurin gab den Jugendlichen zunächst eine Einführung und erklärte ihnen, dass das Stück in einem Gerichtssaal spielt. Die Protagonistin des Stücks, eine junge Jura-Studentin, trägt zufällig den großen Namen „Sophie Scholl“. Auf zwei Spielebenen nahm die Schauspielerin die Jugendlichen in diesem Ein-Mann-Stück mit in die Gefühlswelt einer fiktiven Studentin im Gerichtssaal, die aufgrund ihres Namens einen inneren Konflikt auszufechten hat. Mitterlehner stellte mit Rückblenden und Reflexionen den Bezug zur historischen Person Sophie Scholl her. „Ich heiße Sophie Scholl – und da fängt das Problem auch schon an“ begann sie ihren Monolog.

Die historische Sophie Scholl beklagte als Studentin, Heldin und Widerstandskämpferin zur Zeit des Nationalsozialismus mit ihrer Gruppe die Apathie der Deutschen im Hinblick auf die Taten der Nationalsozialisten und derer, sie sich nicht auflehnten. Mit Flugblättern und Protesten aus der bürgerlichen Mitte zeigten sie: „Wir schweigen nicht, wir sind euer böses Gewissen.“ Die Protagonistin des Stücks kämpfte mitreißend mit dem Anspruch, dem Ideal, das ihr Name mit sich bringt. Sie zeigte jedoch auch auf, dass die historische Sophie Scholl vor ihrer Kritik am Nationalsozialismus als „Jungmädel“ selbst für geraume Zeil ein Teil der Maschinerie war, die sie später aufs Schärfste verurteilte und bekämpfte. Ihren Sinneswandel über mehrere Jahre stellte die Schauspielerin Daniela Mitterlehner in Rückblicksszenen mit harten Schnitten sehr anschaulich dar, sodass sich die Jugendlichen dem kaum entziehen konnten.

Die historische Sophie Scholl und ihre Kollegen bezahlten ihre Bemühungen mit dem Leben, als 1943 ihre Todesurteile vollstreckt wurden. Die Arbeit des Henkers dauerte nur sechs Sekunden, die Mitterlehner mit einer tickenden Uhr unterstrich. Sie stellte die Frage: „Waren diese sechs Sekunden wohl sechs Sekunden in Angst oder sechs Sekunden des Triumphes?“ Bei der Suche nach Loyalität, vor allem zu sich selbst, entschied sich die Protagonistin des Stücks in ihrem eigenen Gewissenskonflikt – für oder gegen eine Aussage – schließlich für die Wahrheit: „Ich sage aus!“

In der anschließenden theaterpädagogischen Nachbereitung gingen die beiden Gäste in einen engen Austausch zu den Jugendlichen. Bei einem Spiel sollten sie mithilfe grüner und roter Karten Position zu verschiedenen Aussagen wie „Ich wurde schon mal wegen meines Aussehens gemobbt oder diskriminiert“, „Ich habe schon miterlebt, wie Menschen diskriminiert wurden“ oder „Ich habe schon mal das Wort ‚schwul‘ als Schimpfwort benutzt“ beziehen. Auf diese Weise entstanden zwangsläufig bei jeder Frage Mehrheiten und Minderheiten. „Wie fühlt es sich an, in der Minderheit zu sein?“, fragte die Regisseurin die Gruppen. „Man fühlt sich unverstanden“, „Man ist sich unsicher, ob man lieber lügen oder die Wahrheit sagen soll“ und „Man fühlt sich schuldig“ waren die Reaktionen der Jugendlichen.  

Die Schülerinnen und Schüler erfuhren zudem am eigenen Leib, wie es sich anfühlt, wenn man nicht „Nein“ sagen kann bzw. möchte. Bewusst stellten die Schauspielerin und Regisseurin ihnen im Spiel unbequeme und sehr persönliche Fragen, um den Jugendlichen bewusst zu machen, dass sie ohne zu hinterfragen dabei mitgemacht hatten. „Alle haben ja mitgemacht, man will dazugehören und kein Außenseiter sein“, merkte eine Schülerin an. Die historische Sophie Scholl hat es hingegen geschafft, unabhängig von der Mehrheit zu denken und zu agieren, was sie noch bis in unsere Zeit als großes Vorbild in Sachen Zivilcourage und Widerstand gelten lässt.

Im nächsten Schritt reflektierten die Zehntklässlerinnen und Zehntklässler über ihren eigenen Mut zur Zivilcourage. Sie wurden dazu aufgefordert, sich in die Situation zu versetzen, dass ein ihnen unbekannter Mitschüler oder eine Mitschülerin auf dem Pausenhof drangsaliert wird und sich entscheiden, unter welchen Bedingungen sie noch eingreifen würden. „Würdest du dich einmischen, wenn… du keine Folgen zu befürchten hättest… du zu spät zur Schule kommen würdest… deine Kleidung zerrissen werden würde… du von deinen Freunden nichts mehr mit dir zu tun haben wollen würden… dein Handy dabei kaputtgehen würde… du einen finanziellen Schaden zu befürchten hättest… du einen Schulverweis zu befürchten hättest… du eine höhere Geldstrafe bekommen würden… deine berufliche Karriere gefährdet wäre … du eine längere Gefängnisstrafe zu befürchten hättest?“ Vom Stehen auf dem Tisch ging es bei einem ‚Nein‘ auf die jeweilige Frage schrittweise immer weiter abwärts, bis schließlich alle saßen und ihre persönliche Schmerzgrenze der Zivilcourage ausgelotet hatten.

Am Ende des Projekts durften die beiden Gäste selbst zum Publikum werden: Die Jugendlichen hatten in einer Gruppenarbeitsphase eigene Szenen – mitten aus dem Leben – geschaffen, in denen sie selbst vor Dilemmata gestellt wurden. Die zentrale Frage, die sich in diesen Szenen stellte, war: „Sage ich die Wahrheit und bringe mich damit selbst in Schwierigkeiten, verhindere damit aber, dass jemand anderes zu Unrecht angeklagt wird, oder lüge ich und wähle damit den einfachen Weg?“  

Judith Senger und Daniela Mitterlehner zeigten sich von den vielfältigen Ideen und der Offenheit der Jugendlichen begeistert und dankten ihnen für die große Aufmerksamkeit während der Vorstellungen. Die IGS freut sich sehr darauf, mit dem Projekt „Name: Sophie Scholl“ das kulturelle Angebot weiter zu vergrößern und das Ensemble im nächsten Schuljahr erneut einzuladen.

Hier geht es zum Artikel im Schlitzer Boten.