"Du bist die Veränderung!"


IGS füllt Lauterbacher Kino als Zeichen gegen Rassismus beim Film ‚Mo und die Arier‘

Die IGS Schlitzerland trägt erst seit einem Jahr offiziell den Titel ‚Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage‘ und arbeitet weiterhin mit viel Engagement und Herzblut daran, diesem würdevollen Titel auch gerecht werden zu können. So war die Schulgemeinde froh und dankbar, als eine besondere und einzigartige Veranstaltung angekündigt wurde: Die Verantwortlichen der Fachstelle für Demokratieförderung und Extremismusprävention des Vogelsbergkreises (DEXT, Jennifer Curlett), der Verein zur Förderung von Filmkunst und Kultur (VFFK Lauterbach e.V., Dittmar Zettl) und die Volkshochschule des Vogelsbergkreises luden am 12. Oktober 2023 dazu ein, den Film „Mo und die Arier“ im Lauterbacher Lichtspielhaus (betrieben von Stefanie Dörr) mit Schülerinnen und Schülern anzuschauen und mit der afrodeutschen Moderatorin, Autorin und Filmemacherin Mo Asumang im Anschluss an die Filmvorführung persönlich ins Gespräch zu kommen. Für die Lehrkräfte der 9. und 10. Klassen stand schnell fest: „Wir wollen als Schule das Kino füllen.“ So fuhren die sechs Klassenlehrkräfte Rüdiger Saurwein, Kerstin Schäfer, Carolin Sauerbier, Sebastian Geißler, Julia Möller und die Kulturbeauftragte Katrin Geißler, welche die Organisation der Veranstaltung von Seiten der IGS übernommen hatte, mit sechs 9. und 10. Klassen ins Lichtspielhaus, um diesen wichtigen Beitrag zum Thema Rassismus zu nutzen.

Jenniffer Curlett begrüßte die Jugendlichen mit ihren Lehrkräften und zeigte sich begeistert angesichts der Vielzahl an Menschen, die an der Veranstaltung teilnahmen. Dittmar Zettl vom VFFK e.V. stieg inhaltlich mit der aktuellen politischen Situation ein, die er nach den Ergebnissen der Landtagswahlen kritisch kommentierte: „Wir müssen reden.“ Er betonte, dass er die Veranstaltung für einen wichtigen Beitrag zu solchen Momenten des Redens halte und gab dann das Wort an die Hauptperson der Veranstaltung, die Macherin des Filmes Mo Asumang.

Die Tochter einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters begab sich nach einer Morddrohung von einer rechtsextremen Band auf eine Reise in die Neonazi-Szene weltweit. In einem langen Entstehungsprozess und mithilfe vieler persönlicher Gespräche ließ sie sich dabei das Weltbild von Mitgliedern unterschiedlicher neonazistischer Gruppen wie dem Ku Klux Clan, selbsternannten Ariern und Mitgliedern der NPD beschreiben. Neben ihrer künstlerischen Tätigkeit besucht Mo Asumang als Botschafterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit ihrem dabei entstandenen mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilm weltweit Schulen und Universitäten, um sich für Integration stark zu machen und das Thema Rassismus mutig aus einer neuen Perspektive anzugehen.

Sie erzählte den Schülerinnen und Schülern von der konkreten Morddrohung, aus der heraus der Film entstanden war und verdeutlichte ihnen, dass sie diese Krise in Form einer Flucht nach vorne bewältigen wollte. Sie suchte dazu explizit den Dialog mit rassistischen, antisemitischen, homophoben und frauenfeindlichen Menschen, da sie alle Menschen im Gesamten als ‚Familie‘ sähe. Innerhalb einer Familie müsse man reden, sodass im Dialog neue Perspektiven auf das Thema Rassismus aufgeworfen werden konnten. Die Grundidee des Dialogs war dabei stets ihre Frage „Warum bist du eigentlich ein Nazi?“. Diese Frage und die damit verbundene Neugier ließen sie immer weitermachen und ihr Ziel verfolgen. Ihre Grundidee war in ihrem über die Dauer von dreieinhalb Jahren entstandenen Film eindrucksvoll umgesetzt und so war es nicht verwunderlich, dass die Schülerinnen und Schüler den Film mit großem Interesse, aber auch Verwunderung und Erschütterung über die Aussagen der Dialogpartner verfolgten, bis unter lautem Applaus der Abspann des Films lief.

Im zweiten Teil der Veranstaltung kam Mo Asumang mit den Jugendlichen ins Gespräch, die diese einmalige Gelegenheit sehr nutzten und mit großem Interesse und Neugier ihren Ausführungen folgten, indem sie in einem einstündigen Gespräch in einen regen Austausch mit ihr gingen. Auch die Lehrkräfte der IGS zeigten sich dabei begeistert über den Tiefgang und die Qualität der Fragerunde. Mit ihrer sehr ruhigen, souveränen Art der Gesprächsführung und des zugewandten Dialogs mit den Jugendlichen fiel es ihnen leicht, sich Frau Asumang auf Augenhöhe zu öffnen: „Sie sind im Gespräch so ruhig geblieben. Ich hätte Angst gehabt, wenn ich gewusst hätte, dass die Personen gegen mich sind“, äußerte sich eine Schülerin. Frau Asumang beschrieb den Jugendlichen, wie sie dieser „Hassspirale“ selbst entgehen konnte: „Diese Personen haben versucht, mich innerlich zu treffen. Sie haben meinen Vater als Gen-Entführer bezeichnet, der die weißen Gene meiner Mutter entführt habe.“ Der Prozess sei hart gewesen, beschrieb sie. Es sei kein schönes Gefühl, wenn die Leute einen wegschubsen, drängeln und einem einen Cent vor die Füße werfen „für den Heimflug“ - sie habe es dennoch aber „irgendwie ausgehalten“ und sei mit der Zeit stärker geworden. Geholfen haben ihr dabei innere Bilder wie die Vorstellung, sie sei eine gepanzerte Dampfwalze, der nichts passieren könne und hinter der ein Weg entsteht.

„Hatten Sie auch Angst, dass Leute Sie angreifen?“, fragte ein Neuntklässler. Sie beschrieb, dass es auf ihren Reisen oft brenzlige Situationen gab, wie zum Beispiel unter 3000 Neonazis bei einem Konzert zu sein. Ein sehr mulmiges Gefühl habe sie gehabt, als sie Mitglieder des Ku Klux Clan getroffen habe. Sogar die Sorge, bei diesem Kontakt ihr Leben zu verlieren, sei ihr gekommen. Dadurch, dass sie in ihren Dialogen aber immer wieder selbst aktiv geworden sei, habe sie die „Wut- und Hassschleife“ ihrer jeweiligen Gegenüber für sich innerlich durchbrochen. „Derjenige, der mit Worten schießt und nicht trifft, weil seine Worte abprallen und keine Gegenwehr erfahren, wird immer schwächer.“, erklärte sie ihre Gelassenheit im Umgang mit Anfeindungen.

Ein Schüler fragte Frau Asumang in diesem Zusammenhang: „Tun Ihnen denn die Leute leid, die Nazis sind - weil sie ja dumm sind?“ Nach kurzer Bedenkpause beschrieb sie es als gefährlich und warnte die Jugendlichen davor, die Intelligenz und das Wissen von Nazis zu unterschätzen. Sie habe weiterhin Mitgefühl mit allen Menschen und hinterfrage stets die Gründe, warum jemand zum Nazi geworden sei. Ihr „Wutmuskel“ sei dabei mit der Zeit immer schwächer und der „Dialogmuskel“ immer stärker geworden. Das Wahlergebnis – auch hier im Vogelsbergkreis – mache ihr dennoch große Sorgen im Hinblick auf die Zukunft. Auf die Frage eines Schülers hin, was sie von der AfD halte, äußerte sie sich kritisch: Sie selbst lege Wert darauf, in ihrem Leben so viel wie möglich für die Demokratie zu tun. Wenn man jedoch gar nicht lösungsorientiert denke, sondern eher mit Angst und Dramatisierung von Situationen arbeite, wäre für Menschlichkeit wenig Platz.

„Wie waren denn die Reaktionen aus der Naziszene auf Ihren Film?“, interessierte eine Schülerin. Frau Asumang erzählte, dass sie in Folge weiteren Morddrohungen und diversen Anfeindungen im Netz ausgesetzt war. Eine positive Konsequenz für sie selbst war jedoch, dass sie sich mit ihrem Leben und ihren persönlichen Erfahrungen mit Rassismus – darunter auch körperliche Gewalt - viel intensiver auseinandergesetzt habe. Besonders erschüttert habe sie beispielsweise, dass ihr niemand geholfen habe, als sie in ihrer Jugend mitten in ihrer damaligen Heimatstadt Kassel aus rassistischen Motiven in der Straßenbahn gewürgt wurde.

„Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?“, war eine weitere Frage. Mo Asumang betonte, dass sie Demokratie stärken sowie Dialoge fördern und weitertreiben wolle, indem sie sich empathisch und menschlich mit anderen Meinungen auseinandersetze. Sie wünsche sich selbstbewusste Menschen, die sich gegenseitig helfen, innehalten und einander in die Augen schauen. „Viele denken nur an sich selbst, aber eine Gesellschaft besteht aus Menschen, die gegenseitige Unterstützung brauchen. Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ihr hinschaut – und nicht wegschaut – wenn jemandem solches Unrecht angetan wird. Helft den Opfern!“, war ihr eindeutiger Appell an die Jugendlichen.

Diese einzigartige Möglichkeit im ländlichen Raum mit einem tollen Gast, einer hochwertigen Fragerunde und sehr interessierten Schülerinnen und Schülern sorgte für die Beteiligten für eine rundum gelungene Veranstaltung. „DU bist die Veränderung! Ihr habt die Macht, die Zukunft mitzugestalten und zu verändern“, war Mo Asumangs Fazit, das den Jugendlichen wohl noch lange in Erinnerung bleiben wird. Zahlreiche gerührte Schülerinnen und Schülern verblieben vor der Bühne und umringten Mo Asumang nach der Veranstaltung, um sich persönlich bei ihr zu bedanken.

Die IGS hofft sehr, dass diese Veranstaltung auch weiterhin durchgeführt und auch zukünftig ihren Schülerinnen und Schülern die Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema zu ermöglichen. Eine Einladung an Mo Asumang steht bereits jetzt und die Schulgemeinde freut sich, sie mit ihrem Verein Mo:Lab e.V. (mo-lab.org) zu Dialog-Botschafter:innen-Workshops an die IGS zu holen, um Demokratie stark und offen zu fördern und gemeinsam Strategien im Umgang mit Andersdenken auszuhandeln.

Hier geht es zum Artikel im Schlitzer Boten.

Und hier geht es zum Beitrag des Vogelsbergkreises.